Hallo liebe Freunde,
ich hoffe, ihr habt eine gute Zeit und genießt den Herbst.
Ein kleiner Zwischenbericht unseres Jahres:
Seit unserem letzten Beitrag hat sich bei Britti und mir so einiges getan, und ich möchte euch gerne davon erzählen. Gerade sitzen wir in Milford Haven, einem Hafen im Süden von Wales, und warten auf das richtige Wetterfenster, um nach Penzance in Südengland zu segeln. Der Wind hat uns in den letzten Wochen immer wieder zur Geduld gezwungen, aber so ist das Leben auf dem Segelboot: Man richtet sich nach der Natur, nicht umgekehrt. Zurzeit ziehen auch immer wieder die Herbststürme durch die Keltische See und machen ein Weiterfahren schwierig. Aber es deutet sich zum Wochenende ein Fenster an, das uns das Weiterfahren nach Penzance in den Ärmelkanal ermöglicht – eine größere Tour von 24 Stunden. Unser Ziel ist es, bis Anfang November in Saint-Vaast-la-Hougue in der Nähe von Cherbourg, Frankreich, anzukommen. Dort werden wir unser Winterlager aufschlagen. Wir mieten uns ein Auto und ich fahre Britti nach Lüneburg, wo sie sich um ihre Mutter kümmern und Geld für das nächste Jahr verdienen wird. Bei der Gelegenheit fahre ich für ein paar Tage nach Franken, um mich mit meinen Geschwistern zu treffen, bevor ich wieder nach Frankreich auf mein Boot zurückkehre. Dort warten einige Reparaturen und Weiterentwicklungen, die ich vornehmen möchte. Außerdem habe ich die Möglichkeit zu arbeiten und auch Geld zu verdienen. Denn trotz einer guten Buchungslage und einem guten Auskommen mit den Gästen ist die finanzielle Lage knapp. Aber keine Sorge, ich bin noch nicht arm dran. Und ehrlich gesagt, freue ich mich auf die Arbeit an anderen Booten. Ich kann dabei viel lernen und dadurch mein Boot mit guten Ideen und Lösungen verbessern.
Von Schottland an die Südküste von Wales.
Die letzten Monate waren eine unglaublich eindrucksvolle Reise durch die wilde Schönheit Nordeuropas. Besonders in Schottland, als wir durch den Kaledonien- und den Crinan-Kanal fuhren, gab es Momente, in denen ich die Welt fast stillstehend erlebt habe. Der Kaledonien-Kanal, der uns quer durch Schottland von der Ost- zur Westküste führte, war ein echtes Highlight. Diese gewaltige Wasserstraße schlängelt sich durch eine dramatische Landschaft, vorbei an majestätischen Bergen und tiefen, von Gletschern geformten Tälern. Ich kann mich noch lebhaft daran erinnern, wie wir am Morgen aufstanden und der Nebel wie ein Schleier über den ruhigen Wasserflächen von Loch Lochy hing. Der Anblick dieser fast überirdischen Landschaft, kombiniert mit der völligen Stille der Natur, hinterlässt Spuren im Herzen. Es sind solche Momente, in denen man sich selbst und die Welt um sich herum neu erlebt und erinnert wird, wie unglaublich klein und unbedeutend man selbst ist.
Der Crinan-Kanal hingegen war eine völlig andere, aber nicht weniger beeindruckende Erfahrung. Die engen Schleusen und schmalen Wasserwege, umgeben von sattem Grün und steilen Hängen, ließen uns oft innehalten und staunen. Der Kanal ist deutlich kürzer als der Kaledonien-Kanal, aber er bietet einen intensiven Blick auf die schottische Küste, die uns immer wieder fasziniert hat. Es ist ein Ort, an dem die Natur auf ihre raue und ursprüngliche Weise präsent ist. Oft hatten wir das Gefühl, dass die Zeit hier langsamer vergeht – als ob die Welt sich für einen Moment nicht weiterdreht und wir die Ruhe voll auskosten konnten. An der Stelle einen schönen und lieben Gruß an unsere Gäste und Freunde Rainer und Bernd.
Unser erster und hoffentlich letzter Notruf auf See.
Eine Herausforderung hatten wir allerdings auf unserer Überfahrt von der Isle of Man nach Holyhead, die uns ganz schön gefordert hat. Wir waren bei etwa 30 Knoten Wind und einer ordentlichen Welle von ca. 3 Metern unterwegs, als plötzlich der Autopilot am Ruderquadranten brach. In diesem Moment wurde das Ruder blockiert, was uns in eine heikle Situation brachte, da wir uns in einem sogenannten Verkehrstrennungsgebiet befanden. Nicht mehr steuern zu können, ist neben Motorausfall und Wassereinbruch der Worst Case, der auf einem Boot passieren kann. Ein Verkehrstrennungsgebiet ist eine stark regulierte Seeroute, die von großen Schiffen genutzt wird. Hier gibt es eine Art “Spurensystem” für den Schiffsverkehr, ähnlich wie auf einer Autobahn, und man muss extrem vorsichtig navigieren, um Kollisionen zu vermeiden. Man darf dort entweder in den Spuren fahren oder sie im 90° Winkel überqueren. Wir waren gerade mitten in der Überquerung.
Durch den Schaden am Autopiloten mussten wir einen Pan-Pan-Notruf absetzen, um die Schiffe in der Nähe zu warnen. Ein Pan-Pan ist ein Notruf, der signalisiert, dass man einen Notfall hat, aber (noch) keine Gefahr für Leib und Leben besteht. Es war ein Moment, in dem die Nerven blank lagen, aber zum Glück konnte ich das Problem relativ schnell selbst beheben, und wir konnten den Notruf wieder aufheben. Danach fuhren wir sicher nach Holyhead, wo uns ein Mechaniker half, das abgebrochene Teil zu schweißen. Es war ein intensives Erlebnis, das mir wieder gezeigt hat, wie wichtig es ist, sein Boot und seine Technik gut zu kennen. Seitdem läuft der Autopilot wieder einwandfrei, aber dieser Vorfall wird uns sicherlich noch lange in Erinnerung bleiben. An der Stelle möchten wir hervorheben, dass die englische Seenotrettungsleitstelle RNLI unglaublich hilfsbereit und zuvorkommend war. Sogar noch im Hafen haben sie uns noch einmal angefunkt und gefragt, ob alles OK bei uns ist. Sie haben uns beruhigt und uns ein gutes Gefühl vermittelt. Eine Seenotrettung bei 30 kn Wind und 3 Meter Welle will man sich nicht einmal vorstellen.
Wie geht es weiter?
Jetzt, nach drei Wochen in Milford Haven, warten wir gespannt auf ein passendes Wetterfenster, um endlich weiter Richtung Süden zu segeln. Die Natur hier in Wales ist unglaublich schön, aber wir sind auch bereit für den nächsten Abschnitt unserer Reise. Penzance liegt etwa 120 Seemeilen entfernt und wird unser nächstes Ziel sein, bevor wir dann den Ärmelkanal überqueren und nach Frankreich segeln. Allerdings dauert diese Überfahrt 24 Stunden. Wir haben das Glück, jetzt seit knapp vier Wochen meist sonniges Wetter zu haben, was uns den Aufenthalt hier in Milford ein wenig angenehmer macht. Aber wie das so ist beim Segeln: Man plant, und die Natur entscheidet, wann es wirklich losgeht.
Es war eine wunderbare und aufregende Zeit in Nordeuropa, und wir überlegen ernsthaft, ob wir nächstes Jahr nicht wieder hierher zurückkommen sollten. Die Schönheit der Landschaft, die raue, aber zugleich beruhigende Natur und die stillen Momente auf dem Wasser – das alles hat uns tief beeindruckt. Irland und die Hebriden stehen auch noch auf unserer Wunschliste, die wir dieses Jahr ausgelassen haben. Der Gedanke, noch einmal die wilde Schönheit dieser Gegenden zu erleben, lässt uns einfach nicht los.
Ein kleiner Einblick in unsere Realität.
Wir erleben auf unserer bisherigen Reise sehr viele unglaublich nette Begegnungen mit Menschen, die in ihren Ländern, Städten und Dörfern und auch ihren Booten leben. Immer, wenn wir uns mit der Nachrichtenlage auseinandersetzen, bemerken wir, dass die News über die Welt viel schlimmer sind, als es die Menschen vor Ort erleben. Alle, die wir trafen, ohne nennenswerte Ausnahme, sind sehr freundlich und hilfsbereit. Es erscheint uns immer öfter, als würden die Nachrichten ein Schwarz-Weiß-Denken fördern, das in der Realität so nicht existiert. Wir können nur appellieren: Bleibt freundlich und hilfsbereit. Damit wird die Welt ein besserer Ort für uns alle.
Viele Grüße aus Wales
Britti & Thomi