Heute Nacht sprangen schon starke Zweifel an meinem Vorhaben in mein Hirn. Habe auch schlecht geschlafen. Bin immer wieder aufgewacht und meine innere Stimme war ständig am Nerven. Mir wurde die Tragweite meiner Entscheidung, die ich ja nun unumstößlich getroffen habe, bewusst. Es gab kein Zurück mehr. Die Wohnung ist gekündigt, ich habe angefangen, alles zu packen, hab die Versicherungen für das Boot abgeschlossen. Alles war auf mein neues Leben ausgerichtet. Dennoch konnte ich die Zweifel nicht ausblenden.

Ist das immer so, wenn man aus der Komfortzone rausgeht? Geht das anderen Menschen auch schon so? Ich habe viel Zeit in diese Idee gesteckt, 10 Bücher von Weltreisenden gelesen, unzählige Abendstunden mit Videos von Langfahrtseglern:innen angesehen und wusste aus deren Beschreibungen alles was mir gerade passiert. Ich dachte wirklich gut vorbereitet zu sein. Was 2 Tage Realität ausmachen kann man nicht lesen oder anschauen. Das erlebt man einfach. Man muss da durch, ohne wenn und ohne aber. Mit Haut und Haaren. Mein Realitätssinn sagte mir das auch immer wieder, aber mein Emotionales ich spuckte immer wieder in meine Hirnsuppe.

Wir legten wieder früh ab. Per musste bis um 17 h in Aarhus sein, da ihn dort sein ältester Sohn abholte. Die Sonne kam raus und der Wind lies nach. Es waren nur noch 4 ms und es gab keine Böen mehr. Die Reise nach dem 45 sm entfernen Aarhus war unspektakulär. Wir mussten ca. die Hälfte der Strecke Motoren. Kaum Seegang, wenig Wind und fast von vorne. Armin und mir ging es gut und wir hatten auch keine Anzeichen einer Seekrankheit mehr. Endlich ein Tag, der wirklich Spaß machte. Es war nur teilweise bewölkt und die Sonne kam immer öfter heraus. Wir sahen die massiven Wolkenmassen, die sich am Rand zum Festland auftürmten und den Regen, der aus ihnen fiel. Ich hoffte, dass wir dazwischen irgendwie durchhuschten können. Aber wie es auch dann sein muss, erwischte uns ca 1 sm vor der Hafeneinfahrt ein ausgeprägter Squal.

Der Wind selber hielt sich in Grenzen, aber das, was da Wasser herunter kam, kann ich nicht beschreiben. Da wir das Wetter von Weitem schon gesehen haben, war ich gut vorbereitet und trug mein Ölzeug. 
Ich hab wirklich noch nie so viel Regen gesehen. Die Sicht schrumpfte auf 20 m und wir tuckerten mit 1,5 Knoten Richtung Hafen. Ohne eine Navigation bzw. ein AIS (Automatic Identification System) wäre das unmöglich. Selbst die Leuchtfeuer wurden verschluckt. Ich war so stark auf das Jetzt konzentriert wie schon sehr lange nicht mehr. Ein abgefahrenes Gefühl das sich dadurch entwickelte.

Die Hafenanfahrt erschien durch die tastende Geschwindigkeit ewig. Über 1 Stunde brauchten wir für das Stückchen. Dabei war eben noch die Marina gefühlt in greifbarer Nähe. Durch den Nebel und den Regen war sie außer Sicht. Als ich dann endlich die Einfahrt zur Marina erreichte, lies der Regen nach und man konnte wieder nach Sicht fahren. Ich kann absolut bestätigen, das Ölzeug meines Vaters ist dicht.

Mir war jetzt klar, dass man auf jeden Fall ein Back-up zur Navigation braucht, das unabhängig von der Bordstromversorgung funktioniert. Wenn bei solchen Sichtverhältnissen in Küstennähe keine Navigation und vor allem kein AIS hat, ist das eine sehr gefährliche Angelegenheit. In unserem Fall auch noch ein großer Hafen mit viel Schiffsverkehr.

Das Anlegen, also eigentlich das Parken selbst war für mich eine sehr gute Lehre. Mit einem so großen Boot und bei so wenig großen Boxen in der Ostsee (so nennt man die Parkplätze in Marinas), meinte Per zu mir: „Parke da wo es geht“. Wie sich auf der Reise noch zeigte hatte Per damit absolut recht. Man kann das in dem Video „#012 – Die Überführung Teil 1“ betrachten. Ja, auch dieses Anlegemanöver fuhr ich selbst. Yes. Da bei meinem Boot sich das Cockpit in der Mitte befindet, ist auch die Übersicht nach vorne und nach hinten sehr gut, und man kann gut abschätzen wo das Boot endet. Was das Einparken, auch an interessanten Parkplätzen angeht, sehr einfach macht. Auch die Manövrierfähigkeit der 45ger ist wirklich sehr gut. Denn in diesem Fall war es keine Box für mein Boot sondern einfach nur ein Platz wo es gerade noch so hingepasst hat.

Ich machte die letzten Notizen über das Boot und der Technik mit Per zusammen und dann kann sein Sohn. Wir verabschiedeten uns von ihm. Ich würde Per gern noch einmal sehen. Mal schauen, ich bin ja noch eine Weile in der Ostsee und plane ja auch wieder um Dänemark herum zu segeln, um nach Norwegen zu kommen. 
 Armin und ich begießten den Abend ausführlich mit einer Flasche Rotwein, den ich beim Schepis um die Ecke meiner alten Wohnung in Fürth gekauft hatte.